Kommerzialisierung aus Patientinnenperspektive

19. September 2020

Ich habe das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS). Eine Erkrankung, die durch verschiedene Gendefekte ausgelöst werden kann und dementsprechend nicht heilbar ist. Verschiedene Komorbiditäten kommen meistens noch hinzu. Dadurch, dass EDS so selten ist, kennen sich die wenigsten damit aus. Das ist natürlich verständlich. Da ich ausführliche Genetik- und Facharztberichte besitze, ist das eigentlich auch gar kein Problem. Wäre da nicht, dank der Kommerzialisierung, der Fallpauschalen, die oftmals so extrem beschränkte Zeit… An diesem Punkt scheitert das Ganze dann leider oft.

Die Behandlung wird abgelehnt, da es zu komplex ist, die Zeit fehlt oder auch weil entsprechende Rezepte für Medikamente oder Physiotherapie über das Budget gehen. Ich weiß nicht, wie oft ich die letzten Monate von A nach B nach C und wieder zurückgeschickt wurde. Ich weiß nicht, wie oft mir gesagt wurde, dass man mir gerne helfen würde, aber es nicht geht, aus Angst vor entsprechenden Regressforderungen…

Irgendwo kann ich all das natürlich nachvollziehen, weil ich weiß, dass es letztendlich am System scheitert und nicht an mir oder denen die mir helfen wollen und nicht können. Aber es bringt mich doch regelmäßig an den Rand der Verzweiflung, da ich so oft nicht weiß, woher ich die Kraft nehmen soll. Zumal eine schwere chronische Erschöpfung leider eins meiner Symptome ist und dementsprechend schon ein einziger Termin mich Kraft kostet, die ich eigentlich nicht habe.

Erschwerend hinzu kommen die vielen Anträge. Einige Medikamente, durch die man wenigstens versuchen kann, die Symptome und die Begleiterkrankungen zu lindern, sind natürlich nicht initial für diese Krankheitsbilder zugelassen, da diese Erkrankungen zu selten sind. Entsprechende Kostenübernahmen müssen daher oft bei der Krankenkasse extra beantragt werden aufgrund der Off-Label Nutzung. Genauso wie verschiedene Hilfsmittel, um die man immer wieder kämpfen muss, selbst wenn es sich natürlich um Produkte handelt, für die eine Hilfsmittelnummer existiert. Auch das kostet immer wieder so unglaublich viel Kraft. Dabei möchte ich doch einfach nur ein Stückchen Lebensqualität zurück. Die Chance mit entsprechenden Hilfsmitteln vielleicht wieder ein bisschen am Leben teilhaben zu können…

Die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen bedeutet für mich als Betroffene mehrerer chronischer Erkrankungen gefühlt oft einen Kampf gegen Windmühlen. Wenn ich all die Energie, die ich dafür aufbringen muss, Anträge bei der Krankenkasse, dem MDK und Co zu stellen, dafür nutzen könnte, Dinge zu tun, die meiner Gesundheit förderlich sind, würde es mir oftmals deutlich besser gehen. Und so mache Baustellen hätte ich heute vermutlich gar nicht.

Die Kommerzialisierung im Gesundheitssystem bedeutet für mich, dass ich lange Zeit leider immer wieder durch das Gesundheitssystem fliegen musste. Ich bin leider schwer traumatisiert, wodurch auch im ärztlichen Kontext gewisse Einschränkungen entstehen. Theoretisch reicht es aber meistens, wenn man mir ein bisschen Zeit lässt, mir erklärt, was mit mir gemacht wird, ggf. sehr wichtige Sachen aufschreibt. Anhand dieser Grundlage kann ich dann verstehen, was mit mir passiert, habe weniger Angst und kann kooperieren, statt panisch zu reagieren.

Aber dank der Kommerzialisierung, dem dadurch bedingten Pflegenotstand, ist Zeit im Gesundheitssystem leider zu Mangelware geworden. Menschen wie ich scheinen in diesen „Zeitkalkulationen“ nicht vorgesehen zu sein. Ich habe mir meine Vergangenheit nicht ausgesucht, aber mehr als an mir zu arbeiten kann ich nicht tun. Die „Anforderungen“ dieses auf Profit ausgelegten Systems kann ich dennoch nicht erfüllen.
Dieser Umstand ist für mich schon öfter sehr unschön geendet, ich weiß nicht, wie oft ich letztendlich unter Festhalten behandelt wurde, weil einfach keine Zeit da war, um mir etwas zu erklären. Was sowohl für mich als sicher auch für diejenigen, die mich behandeln mussten, alles andere als schön war. Bei mir haben solche Erfahrungen letztendlich dazu geführt, dass ich lange Zeit lieber unter starken gesundheitlichen Einschränkungen gelitten habe, als mir Hilfe zu suchen. Umgekehrt mag ich mir gar nicht vorstellen müssen, was es bedeutet, unter einem solchen Druck arbeiten zu müssen.

Die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen bedeutet für mich als Patientin mit mehreren komplexen und chronischen Erkrankungen, dass ich oft ein schlechtes Gewissen habe. Weil ich weiß, dass meine Behandlung oft mehr Zeit braucht, als Fallpauschalen gezahlt werden. Ich „aufwendiger“ bin, als ich es laut der wirtschaftlichen Kalkulation sein dürfte. Meine Behandlung rechnet sich also für viele meiner behandelnden Ärzte finanziell kaum. Und auch wenn meine Hausärztin mir bereits sagte, dass sie sich über meine positive Rückmeldung, meine Dankbarkeit sehr freut und ihr das mehr bedeutet, als Ziffern, die sie abrechnen kann, bleibt so manches Mal doch mein schlechtes Gewissen.

Oftmals habe ich das Gefühl, dass ich einfach „zu krank“ für dieses System bin. Der Fehler im System.
Dabei sollte gerade durch das Gesundheitssystem für alle da sein können. Egal ob alt, jung, gesund oder (komplex) chronisch krank.

Vielen Dank für diesen Einblick! @Zebra_Bande