Kritik an den Empfehlungen der Regierungskommission zur grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung:

5. Januar 2023

Die FrAktion Gesundheit und das Twankenhaus e.V. befassen sich beide seit ihrer Entstehung mit grundsätzlichen Reformbedarfen des Gesundheitswesens. Im Fokus der Überlegungen stand und steht dabei immer, die Verbesserung der Patient:innenversorgung mit deutlich besseren Arbeitsbedingungen aller Gesundheitsberufe in Einklang zu bringen. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist dabei ein zentrales Hemmnis (vgl.: Ärztetagsbeschlüsse auf Antrag der FrAktion Gesundheit *1, Positionspapiere und Themenwochen des Twankenhaus e.V. *2)


In den letzten Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe und damit auch die Güte der Patient:innenversorgung massiv verschlechtert. Dies zeigt sich exemplarisch an der desaströsen Situation in den Kinderkliniken.


Mit großem Interesse haben wir daher die Dritte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung „Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung” zur Kenntnis genommen. In einer gemeinsamen Analyse stellen wir fest, dass einige der vorgelegten Reformvorschläge erstmals seit langem das Potential echter Verbesserungen der stationären Patient:innenversorgung bieten. Dennoch bleiben wichtige Probleme noch nicht hinreichend adressiert.

 

1. Analyse und Kommentierung der vorgelegten Problembeschreibung (Kapitel 2, ab S. 6)
○ Die bestehenden wirtschaftlichen Fehlanreize, die wesentlich die fehlgeleitete Ökonomisierung begründen, werden mit dem vorgelegten Reformvorschlag nicht hinreichend begrenzt. Wir fordern daher, dass
■ die Länder ihren Investitionsverpflichtungen vollumfänglich nachkommen. Investitionen, die aus den Fallpauschalen generiert werden, fehlen in der Patient:innenversorgung.

■ die Erlöse der direkten Patient:innenversorgung zugutekommen müssen, um die Gesundheitsausgaben nicht unangemessen zu steigern und ökonomischen Fehlanreizen entgegenzuwirken.
■ der Abfluss von Erlösen als Renditen für Investoren beendet wird.

○ Die Reformvorschläge müssen durch eine konsequente und sachgerechte Kranken- hausplanung ergänzt werden, auch um eine Mengenausweitung zu verhindern.
○ Das vorgelegte Papier ist als ein Baustein für eine sektorenübergreifende Reform gedacht. Gleichzeitig bleibt aber die Konkretisierung einer veränderten ambulanten Versorgung noch offen. Die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird nicht überwunden. So haben Kliniken weiterhin nur eingeschränkte Möglichkeiten zur ambulanten Behandlung von Patient:innen mit komplexen oder seltenen Erkrankungen.

○ Prävention kommt zur Reduktion der stationären Fallzahlen und der Krankheitslast insgesamt eine Schlüsselrolle zu. Trotz dieser großen Bedeutung wird dieses Thema nicht mit Reformmaßnahmen unterlegt.
○ Komplexe multiprofessionelle konservative Therapien sind bislang weder im ambulanten noch im stationären Sektor adäquat abgebildet. Die ausreichende Finanzierung konservativer und präventiver Therapien kann dazu beitragen, invasive und operative Therapieverfahren zu vermeiden oder gesundheitliche Folgekosten (z.B. durch Rehabedarf, längere ambulante Heilmitteltherapien, Re-Eingriffe, AU- Zeiten, Pflegebedürftigkeit) reduzieren bzw. den Erfolg invasiver und operativer Therapien zu verbessern.


2. Die drei Kernbestandteile der Vergütung: Bundesweit einheitliche und klar definierte Krankenhaus-Level (Kapitel 4.1, ab S. 11)
○ Wir begrüßen die bundesweit einheitliche Definition von Krankenhaus- Versorgungsstufen. Die damit verbundene Möglichkeit einer besseren Bedarfsplanung ist überfällig.

○ Level Ii – Krankenhäuser:
■ Wir sehen die damit verbundenen großen Chancen zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum.
■ Gleichzeitig birgt dieses Modell gerade im urbanen Raum Gefahren zur
ökonomisch fehlgeleiteten Ausweitung der Leistungserbringung bzw. zu einer Steigerung der Gesundheitsausgaben. Es muss daher geklärt werden:

1. ob die fachärztliche Leistung in den Level Ii Krankenhäusern, die nach EBM vergütet werden soll, extrabudgetär erfolgt.

2. wie die Sach- und Personalkosten finanziert sind, insbesondere im Kontext mit vergleichbaren anderweitig erbrachten ambulanten fachärztlichen Leistungen.

3. dass der Abfluss von Erlösen aus der Patient:innenversorgung als Renditen auch im ambulanten Sektor verhindert wird. Dies muss bei der Förderung der prinzipiell wünschenswerten Ambulantisierung sichergestellt sein.
○ Hinsichtlich künftiger Reformvorschläge müssen neue ökonomische Fehlanreize, die zu nicht indizierter Mengenausweitung im ambulanten Sektor führen, vermieden werden.
○ Die Definition der Kliniken der Stufe II und III sowie die damit verbundenen Strukturvorgaben begrüßen wir.
○ Die Integrierung derjenigen Fachkliniken, die erhalten werden sollen, in die Kliniken der Stufe II und III halten wir für sachgerecht.

3. Die drei Kernbestandteile der Vergütung: Einführung von definierten Leistungsgruppen (Kapitel 4.2, ab S. 17)
○ Definierte Leistungsgruppen können die Qualität der Patient:innenversorgung sicherstellen und verbessern.
○ Die Einführung dieser Leistungsgruppen bietet eine bessere Grundlage für die Durchsetzung einer bisher unzureichenden Krankenhausplanung auf regionaler Ebene.

4. Die drei Kernbestandteile der Vergütung: von den DRGs zum 2-Säulen-Modell “Vorhaltung und DRG” (Kapitel 4.3, ab S. 20)
○ Die angestrebte Reduktion der mengenbezogenen Komponente ist unzureichend. Die geplante Reduktion der DRG-Vergütung auf etwa die Hälfte der Gesamtvergütung beseitigt nicht die seit Jahren erkannten finanziellen Fehlanreize durch Mengenausweitung lukrativer Prozeduren.

○ Der Anteil der Vorhaltefinanzierung im Reformvorschlag muss erhöht werden.
○ Die Ausgliederung des Pflegebudgets innerhalb der Vorhaltekosten kann lediglich als vorübergehende Notfallmaßnahme angesehen werden. Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus der Gesamtfinanzierung führt dazu, dass Pflegekräfte Tätigkeiten anderer Gesundheitsberufe übernehmen, um in diesen Bereichen Stellen einzusparen. Das trifft umso mehr zu, wenn Pflegehelfer:innen statt Pflegefachkräften beschäftigt werden. Dies dequalifiziert den Pflegeberuf und verschlechtert die Arbeitsbedingungen in der Pflege. Gleichzeitig mangelt es dann an Kolleg:innen anderer Gesundheitsberufe.
Für eine grundsätzliche Reform der Krankenhausfinanzierung muss ein Vorschlag vorgelegt werden, mit dem die Personalkosten aller Berufsgruppen, auch die Ausgaben für Aus- und Weiterbildung, komplett durch die Vorhaltekosten finanziert werden.

○ Wir begrüßen die Einführung von Maßnahmen zur Sicherstellung und Verbesserung der Strukturqualität. Perspektivisch müssen auch valide Instrumente zur Erfassung und Verbesserung der Ergebnisqualität implementiert werden.

Text als pdf zum Download: 20230105_Anmerkungen Reformpapier Regierungskommission von TW und FG


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*1 https://125daet.baek.de/data/media/BI24.pdf; https://125daet.baek.de/data/media/BI45.pdf; https://124daet.baek.de/data/media/BI08.pdf; https://124daet.baek.de/data/media/BI23.pdf
*2 https://twankenhaus.de/category/themenwoche-zur-oekonomisierung/; https://twankenhaus.de/wp- content/uploads/2019/11/Mainzer-Erkl%C3%A4rung-20191124-final-Kopie.pdf, https://twankenhaus.de/wp- content/uploads/2019/10/Positionspapier-Wunsch-und-Wirklichkeit-2019.