#Digitalisierung – im Wandel der Zeiten

16. Februar 2020

In meiner bisherigen Tätigkeit war ich verschiedenen Graden der Digitalisierung im Gesundheitssystem ausgesetzt:

Vom Krankenschein-Checkheft in der Kindheit bis zur ersten Power-Point-Vorlesung im Hörsaal, welche eben gerade die getippten und schief gerahmten Dias abgelöst hatte, war es ein stetiger überschaubarer und scheinbar gleichtaktiger Prozess gewesen.

Doch dann ging es zunehmend schneller. Plötzlich schrieb ich meine Dissertation auf einem Notebook und die Literaturrecherche wurde via Endnote eingefügt. Es zählten dabei nur pubmed gelistete Papers, welche einen gewissen Impact factor haben sollten (Damals, mein Junge, waren wir noch mit einem Lochstreifen in der Bibliothek!)

Quasi parallel dazu wurde das erste iPhone vorgestellt. Musik kam nicht mehr vom Walkman, auch der mp3 Player war nur von kurzer Dauer. Abgelöst von streaming Diensten, beim Training getrakte und gesharte activities, welche die Playlists beeinflussen und mehr Leistung bringen, eroberten den Alltag neben der Medizin. Gefühlt sind die 80er nahtlos in die Gegenwart übergegangen. Das U Bahn Ticket bezahle ich mittels touch ID, die Gala fürs Wartezimmer via Apple Pay.

Halt.

Zeitung im Wartezimmer? Wartezimmer TV für die paar Leute, welche nicht auf ihr Tablet oder Smartphone schauen, um zu posten wie lange die Wartezeit gerade ist? Passt nicht zusammen… oder doch? Viel wird über Entschleunigung, Achtsamkeit und Stressreduktion geredet. Und über die Vorteile der Digitalisierung. Die Prozessoptimierung, den Datenschutz.

In der ersten Klinik wurde noch in mit einem Stift in eine Akte geschrieben. Bei Tumorpatienten so dick wie das 3bändige Telefonbuch einer Großstadt. Auf der Chefvisite gab es einen Träger für Röntgenbilder und Laborbefunde. Alles hat unglaublich viel Zeit gekostet, einen Patienten von einem Kollegen spontan zu übernehmen scheiterte oft an der schieren Unmöglichkeit, sich adhoc in die Krankengschichte einzuarbeiten. Wie einfach wäre das Assistentenleben jetzt, wenn alle Befunde, Termine, bereits durchgeführten Untersuchungen auf einem Tablett serviert zu bekommen?

In der zweiten Klinik war die digitale Akte gerade umgesetzt worden, das Ziel schien so nah. Die papierlose Klinik – der Olymp! Die Übersicht, die dadurch gewonnene Zeit in der Sprechstunde, die dem Patienten (bzw. der Anzahl der Patienten) zu Gute kam, die vielen Euros, die Dank vermiedener oder unnötiger Diagnostik gespart oder anderswo eingesetzt werden konnten, das Ziel schien so nah. Doch durch langsame Rechner, überlastete Server, in Messie-Manier vergeudete Speicherkapazitäten oder durch eine kurze Stromunterbrechung wurde das System deutlich in seine Schranken gewiesen. Plötzlich gab es wieder Fotokopien, eingescannte Zettel, hanggeschriebene Kurzarztbriefe, usw.

Nun in der Praxis angekommen stehen wir vor der Situation, das Beste aus allen Erfahrungen zu destillieren und einzubauen.

Wären da nicht die äußeren Bedingungen (Datenschutz, Bürokratie, TSS und TSVG und TI), wurde wahrscheinlich gar nicht so viel passieren. Die größte Hürde ist es, die Smartphones im Wartezimmer mit dem TippEx-Stift im Terminbuch zu synchronisieren. Somit erscheint die Marschrichtung eindeutig: Die Digitalisierung und damit die Ökonomisierung der Medizin schreitet fort. Längst halten KI und Robotic Einzug. Die Vorteile einer Papierlosen Akte liegen auf der Hand: Bei vernünftiger Infrastruktur und gesunder Datensicherheit und -sensibilität gelingt es zunehmend, Abläufe zu verkürzen, die Strukturen zu glätten, mehr Zeit für den Patienten (oder mehr Patienten pro Zeit) zu haben. Da die Digitalisierung außerhalb der Medizin davonrast, muss die Medizin hier unbedingt Schritt halten. Eine konsequente Vernetzung zwischen Klinik und Praxis kann nur zum Wohle des Patienten mittels intelligenter Kommunikationstechnik erfolgen.

Der TippEx Stift radiert jetzt nicht mehr im Terminbuch, allerdings hat die Maus noch ein linkes und ein rechtes Ohr, der Krankenaktenkartonumschlag dient nur noch der Ablage der nadeldrucker-beschriebenen Arbeitsunfähigkeitsdurchschläge…

Wichtig ist es also, bei der Umsetzung der technischen Möglichkeiten alle Beteiligten mitzunehmen. Dies ist schwieriger als zunächst gedacht, ein paar Schuhe per one-klick-buy bei Zalando zu erwerben ist zunehmend einfacher als einen Termin per drag-and-drop zu verschieben oder als Serientermin in der Allergietherapie zu generieren.

Es liegt also noch eine große Aufklärungs- und Angstabbauarbeit vor uns. Jedoch ist das Ziel eindeutig:

Der Patient ist längst online, die Gesundheits- und Trakingapps haben viel elegantere (Erinnerungs)-Services als unser Terminbuch (Steh auf und beweg Dich!, Achtung, zu viele Kalorien!, Was tun bei Halsschmerzen? Vorsorgecheck-Bonuspunkte scannen und hochladen und mit dem Fitnessabo verrechnen). Allerdings sollten wir die Sache nicht aus der Hand geben.

Die Medizin muss sich weiter digitalisieren, bevor sie digitalisiert wird!

Unser herzlicher Dank geht an Dr. Carsten Brocks für diesen Gastbeitrag!