#MeinEinsatzFürDich bei der Krankenkasse

29. März 2019

#MeinEinsatzFürDichIch bin seit 10 Jahren Kundenberaterin bei einer deutschlandweiten GKV. Zumindest ist das ist meine offizielle Berufsbezeichnung. Denn in den letzten Jahren bin ich eher Kundenbeschwerdeannehmerin.

Grundsätzlich sollte ich täglich Kunden zu allen Beitrags-, Leistungs- und Versicherungsrechtlichen Fragen beraten, Anträge annehmen und auch mal ausfüllen und dafür sorgen, dass der Kunde zufrieden ist und sich gut aufgehoben fühlt. Das war bis vor ein paar Jahren auch der Fall. Da war auch mal Zeit, sich einer netten alten Dame anzunehmen, mit ihr den Pflegeantrag auszufüllen und die Geschichte des inzwischen verstorbenen Mannes zu hören.

Heute führe ich nicht selten Gespräche, in denen ich wütende Kunden habe, die Angst haben, ihre Miete nicht zahlen zu können, weil das Krankengeld noch nicht da ist. Oder die nicht wissen, wie sie die Pflege der Angehörigen sicherstellen sollen, weil viele Pflegedienste mangels Personal keine neuen Patienten mehr aufnehmen können.

Die Beschwerden der Kunden über schlechte Medikamentenversorgung, fehlende Beratung beim Arzt und der Apotheke, keine adäquaten Hilfs- und Heilmittel, viel zu lange Bearbeitungszeiten bei uns, schlechte telefonische Erreichbarkeit und unverständliche Auskünfte nehmen rapide zu.

Immer öfter müssen meine Kollegen und ich uns entschuldigen und rechtfertigen, warum ein bestimmtes Medikament in der Apotheke nicht mehr ausgegeben werden darf (Danke für Pflicht der Rabattverträge, die Kosten minimieren sollen), der Arzt trotz starker Beschwerden wenn überhaupt nur einmal Krankengymnastik verordnet (Budget ist einfach zu klein, um die stark ansteigende Zahl der chronisch Kranken laufend mit Heil- und Arzneimitteln zu versorgen) oder der Arzt nicht genug Zeit habe (wie denn auch, bei den Patietenzahlen und den Pauschalen).

Woran liegt das? Es liegt im Grunde nur an einem, am Geld. Unsere liebe Regierung möchte die Verwaltung verschlanken. An sich ne schöne Idee, ist aber nicht so einfach umzusetzen, denn vernünftige Beratung braucht Zeit und somit Personal. Unsere Kunden können nicht drei Monate auf Entscheidungen warten, da sie krank sind und jetzt Hilfe brauchen.

Geld soll und muss um jeden Preis eingespart werden. Und das kann man nicht nur durch Einsparungen der Ausgaben im Leistungsbereich (Stichwort: Arzneimittelrabattverträge und Hilfsmittellieferungen durch exklusive Leistungspartner) erreichen, sondern besonders gut durch Stellenreduzierungen und Schließung von Filialen. Also bleibt die Arbeitsmenge identisch, wird nur von weniger Menschen gemacht, die häufig nun lange Anfahrtswege haben, weil die Filiale vor Ort geschlossen wurde. Folge ist, dass Überarbeitung und Krankheitsausfälle zunehmen, die Arbeit wird mehr, das vorhandene Personal weniger.

An Personal fehlt es überall. Wir haben (wie viele andere Krankenkassen auch) inzwischen deutlich längere Bearbeitungszeiten als vor ein paar Jahren. Offene Stellen werden nicht besetzt oder die Bearbeitungsdauer wird schön gerechnet. Die Folgen trägt der Kunde, der auf sein Krankengeld nun anstatt der üblichen 2-3 Tage Banklaufzeit auch gern mal 1-2 Wochen warten darf. Oder der Pflegebedürftige, der auf das Pflegegeld, das als Aufwandsentschädigung für die Pflegeperson gedacht ist, erst nach Monaten erhält, weil niemand die Zeit hat, es zeitnah zu errechnen.

Die Beschwerden (die in 9 von 10 Fällen absolut berechtigt sind) landen bei uns, in der Kundenberatung. Und irgendwann möchte der Kunde nicht die gefühlt zehnte Entschuldigung hören, er will Resultate sehen. Und das schlimme: die kann ich ihm häufig nicht mal geben. Wir werden beschimpft, bedroht und beleidigt. Für etwas, für das wir nichts können. Wir möchten Service bieten, wir möchten Kunden beraten und Ihnen helfen.

Wir sind zunehmend gefrustet von der Situation und bekommen jeden Tag mit, wie die anderen Partner im Gesundheitswesen genauso kämpfen.

Um die Kosten, die die zunehmend überalternde und kranke Bevölkerung verursacht aufzufangen, geht bei allen Krankenkassen nun das Buhlen um die jungen, gesunden Kunden los. Da werden unnütze Leistungen wie Homöopathie und Osteopathie erstattet. Nur, um den „guten“ Kunden an sich zu binden. Denn der kostet ja trotz der unsinnigen Ausgaben im Schnitt deutlich weniger, als wir aus dem Gesundheitsfond bekommen. Betriebswirtschaftlich macht das sicherlich Sinn. Aber wir reden hier vom Gesundheitswesen und ich finde es ethisch fragwürdig, betriebswirtschaftliche Interessen über alles zu stellen.

Allerdings bemerken wir auch zunehmend eine steigende Unzufriedenheit der Bevölkerung. Neid und Missgunst treten immer öfter im Gespräch zu Tage („Warum bekommt mein Nachbar das, ich aber nicht?“ „Ich bin seit 30 Jahren bei Ihnen versichert, wieso können Sie mir nicht einmal das geben, was ich brauche?“) und erschweren die Gesprächsführung zunehmend.

Die Medien zeigen gern mit dem Finger auf die Kassen und veröffentlichen die Vorstandsgehälter. Diese sind in der Regel bei 250000 bis 300000€ angesiedelt. Dass die prozentual am Haushaltsvolumen von mehreren Milliarden pro einzelner Kasse eine eher untergeordnete Rolle spielen (kein Bankenvorstand geht mit einem Gehalt unter einer Million pro Jahr nach Hause, nur als Vergleich), spielt dabei keine Rolle. Und dass ich als kleine Kundenberaterin am Ende der Nahrungskette über kein üppiges Einkommen verfüge, dürfte auch jedem klar sein. Trotzdem ist das mit das erste Argument des gefrusteten Kunden bei einer Leistungsablehnung an mich „Klar, aber die Vorstände bekommen das dicke Geld, das muss ja irgendwo herkommen!“

Aber der Frust des Kunden muss raus, entweder bei mir als Kundenberaterin, bei der Pflegefachkraft, bei der Apothekerin, der Arzthelferin oder einem der vielen anderen im Gesundheitswesen Beschäftigter. Weil die Gesamtsituation einfach untragbar geworden ist, für alle. Wir sind erschöpft, resigniert und desillusioniert.

Es wird Zeit, dass sich etwas ändert.“

 

Liebe Kundenberaterin, vielen Dank für Deinen Beitrag für #MeinEinsatzFürDich!

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