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#Ökonomisierung

Ökonomisierung des Gesundheitswesens – ausgewählte Probleme ohne Anspruch auf Vollständigkeit

24. September 2020

Ökonomisierung des Gesundheitswesens – ausgewählte Probleme ohne Anspruch auf Vollständigkeit
Ich behaupte, dass unter der Ökonomisierung des Gesundheitswesens fast alle gesundheitlichen, therapeutischen und pflegerischen Berufsgruppen sowie die Patientinnen und Patienten leiden. Und unter Ökonomisierung im Gesundheitswesen verstehe ich, dass sich Gesundheitsversorgung dem Primat beugt, für den Gesundheitsbetrieb Erlöse zu erzeugen. Es steht nicht zwingend im Vordergrund, eine bedarfsgerechte und qualitativ hohe Gesundheitsversorgung zu erreichen. Die Handlungen, Maßnahmen und Interventionen der an Gesundheitsversorgung beteiligten Berufsgruppen werden damit zum Zweck der betrieblichen Tätigkeit und allein zweck-rational umdefiniert. Und damit steht in diesem Verständnis eine Ökonomisierung vielfach im Widerspruch mit den professionellen Erwartungen und Kenntnissen der ärztlichen, gesundheitlichen, pflegerischen und therapeutischen Berufsgruppen sowie den Patientinnen, Patienten und pflegebedürftigen Menschen.

Mein Beitrag wird weniger praxisorientiert sein, obwohl ich so viele Geschichten von Studierenden aus dem Wahnsinn des Systems höre, wie viele unsinnige Maßnahmen und Interventionen erfolgen, weil sie Geld bringen oder eben nicht erfolgen, weil kein ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden ist. Ich erlebe auch immer wieder diese Beschränkungen unseres Gesundheitssystems. Ich skizziere ausgewählte Probleme, die beliebig erweiterbar sind.

DRGs (Diagnoses Related Groups)

Und zum Thema Ökonomisierung des Gesundheitswesens fallen mir sofort die DRGs ein. Die DRGs (Diagnoses Related Groups) haben u.a. zu einer beispiellosen Reduzierung des Pflegepersonals in Krankenhäusern geführt, die uns im OECD-Vergleich die Position einräumt, das Land mit einem der schlechtesten Pflegepersonal-Patientenschlüssel zu sein. Den Fokus allein auf medizinische Diagnosen, Maßnahmen und Interventionen zu lenken und Erlöse zu steigern, birgt nicht nur die Gefahr, dass Patientinnen und Patienten unnötige Maßnahmen erhalten, sondern auch, dass die Bedarfe der Versorgung, die nun einmal aus einer medizinischen Diagnose resultieren nicht erkannt und damit angemessen finanziert und erbracht werden können.

Die Konsequenzen der DRGs sind nämlich wie folgt: aus der Perspektive der Krankenhäuser bringt seit Einführung der DRGs nur die ärztliche Versorgung Einnahmen ein, während die pflegerischen, gesundheitstherapeutischen und weiteren Berufe offenbar allein Kosten verursachen. Die daraus resultierende Konsequenz ist aber eine Unter- und Fehlversorgungen von Patientinnen und Patienten. Aufgrund dieses einseitigen Blicks auf Gesundheitsversorgung ist aus dem Fokus geraten, dass die Leistungen der Pflege-, Gesundheits- und Therapieberufe relevante Ergänzungen und Erweiterungen der medizinischen Diagnosen und Maßnahmen sind. Ein Krankenhausaufenthalt erfolgt ja im Grunde nur, weil Patientinnen und Patienten weitere Bedarfe in der Versorgung haben – ansonsten könnten die ärztlichen Prozeduren ambulant durchgeführt werden. Mit anderen Worten: die Leistungen der Pflege-, Gesundheits- und Therapieberufe sorgen ebenso für Einnahmen der Kliniken, da ohne diese Berufe auch die ärztlichen Leistungen und Prozeduren nicht stattfinden können. Für die Unterversorgung in der Pflege gibt es die wissenschaftlichen Konzepte „missed nursing care“ oder „care left undone“. Viele internationale Studien weisen daraufhin, dass bei nicht ausreichendem Pflegepersonalschlüssel viele pflegerische Maßnahmen unterbleiben oder rationiert werden und in der Folge die Komplikations- und Sterberaten der Patientinnen und Patienten steigen. In einer Studie wurde unter anderem formuliert, dass die Wahrscheinlichkeit in einem Krankenhaus mit nicht ausreichenden Pflegepersonalschlüssel zu sterben, um 18% höher sei. Wie hoch auch immer sie sein mag, es gibt keine Studie, die aussagt, dass schlechte Pflegepersonalschlüssel, um Kosten zu sparen, tatsächlich Kosten sparen, noch für die Patientinnen und Patienten sich als gut herausstellen. Die Arbeitsgruppe um Braun von der Universität Bremen hat als Ergebnis u.a. analysiert, dass die Einführung der DRGs zu einem Erosionsprozess der Professionalisierung der Pflege sowie des Arbeitsverständnisses von Pflegefachpersonen geführt hat. Viele pflegerische Aufgaben werden rationiert und nicht mehr durchgeführt. Genau diese Rationierung und Veränderung wird zu weiteren Kosten geführt haben, die wir in Deutschland nicht untersuchen, weil der Blick auf die Kosten im Gesundheitssystem und damit das zugrunde gelegte gesundheitsökonomische Paradigma offensichtlich veraltet und relativ eindimensional ist. Mit dem Gesagten möchte ich aber nicht formulieren, dass die Ärztinnen und Ärzte die Verantwortung für diese Situation haben. Viele leiden ebenso unter diesem ökonomisierten System. Auch sie sind gefangen darin und bemerken, dass eine bedarfsgerechte und patientenorientierte Versorgung in Krankenhäusern nicht mehr möglich ist.

Für die Pflege als Beruf ist international das Konstrukt des „Moral Distress“ relativ gut untersucht. Dieser besagt, dass das Stressempfinden der Pflegefachpersonen steigt, wenn sie aufgrund der Umstände, wie eben der erforderlichen Rationierung von Leistungen wegen eines ökonomisierten Systems, nicht anbieten können. Es ist in Frage zu stellen, ob ein Stressempfinden dieser Art auch für andere Gesundheitsberufe zu finden ist oder ob andere Konsequenzen gezogen werden. Auf jeden Fall haben „Moral Distress“-Erlebnisse eine schlechtere Patientenversorgung und auch Berufsflucht zur Folge.

Dieser einseitige Blick auf DRGs und Einnahmen verhindert auch die Kosten einzukalkulieren, die durch eine nicht bedarfsgerechte Versorgung entstehen. Wie viele Komplikationen, vorzeitige Tode, Verschlechterungen der Gesundheitssituation, Entstehung und Verschlechterung von Pflegebedürftigkeit könnten verhindert werden, wenn eine bedarfsgerechte und interdisziplinäre Gesundheitsversorgung in Krankenhäusern, aber auch im niedergelassenen und ambulanten Bereich möglich wäre.

Des Weiteren wird durch die Engführung unseres Gesundheitssystems mit einer einseitigen ökonomischen Betrachtung weder im ärztlichen noch im pflegerischen Bereich realisierbar, wohnortnahe präventive und gesundheitsförderliche Leistungen anzubieten. Bislang wurde nicht untersucht, welche Kosten in unserem Gesundheitssystem dadurch entstehen.

Pflegepersonalbemessung für Krankenhäuser

Pflegepersonalbemessungen, die alleine auf Zeitwerten beruhen, begünstigen eine weitere Ökonomisierung, Fragmentierung und Verrichtungsorientierung von Tätigkeiten. Diese berücksichtigen nicht die pflegefachlichen Grundlagen, Prozesse und die erforderlichen evidenz-basierten Maßnahmen. Sie berücksichtigen noch nicht mal „care left undone“ oder „missed nursing care“. Sie legen kein Verständnis von Pflege in Krankenhäusern und kein Skills-Grade-Mix zugrunde. Die Frage bei Pflegepersonalbemessungsinstrumenten für Pflegepersonal in Krankenhäusern in Deutschland ist alleine, wie schnell kann eine Person eine Verrichtung durchführen, damit so wenig Pflegepersonal wie möglich eingesetzt werden kann. Es ist ein rein zweck-rationales Instrument, das noch nicht mal Pausen, Wege oder unterschiedliche Qualifikationsniveaus und Kompetenzen vorsieht.

Es gab bereits in den 1990er Jahren ein Pflegepersonalbemessungsinstrument. Dieses wurde abgesetzt, da bereits damals ersichtlich wurde, dass mehr Pflegepersonal benötigt wurde. Diese Kosten sollten nicht getragen werden, da Pflegepersonal als ein Kostenfaktor für Krankenhäuser betrachtet wird. Diese Personalkosten sollten auf ein Minimum zusammengespart werden. Erst Anfang d. J. hatte ein Vertreter einer Krankenhausgesellschaft formuliert, dass es doch gar nicht erwiesen sei, dass Pflegepersonal für pflegerische Tätigkeiten wirkungsvoll sei. Deswegen könnte man auch andere Berufsgruppen einsetzen. Dahinter steht der Gedanke, dass Pflege als Beruf im Krankenhaus keine Bedeutung hat und von jedem und jeder durchgeführt werden könnte. Dieser Gedankengang ist ein rein ökonomischer, der nicht von erforderlichen Gesundheitsversorgungsprozessen ausgeht. Ich gehe davon aus, dass nur dann ein Pflegepersonalbemessungsinstrument in Deutschland umgesetzt wird, wenn es den eindimensionalen Erwartungen der Kosteneinsparung erwartet und die Taylorisierung entspricht. Es wird noch nicht mal mit Gesundheitsoutcomes und Qualität in einem Zusammenhang betrachtet oder untersucht. Das einzige Ziel ist darzustellen, wie wenig Pflegepersonal benötigt wird, um den Laden am Laufen zu halten. Letztendlich haben diese Vorgänge des Zusammenschrumpfens von Pflegepersonal auf Mindestanzahl dazu geführt, dass ein Verständnis von Pflegefachlichkeit und erforderlichen pflegerischen Maßnahmen, Aufgaben und Rollen in deutschen Krankenhäusern verloren gegangen ist.

Ein Pflegepersonalbemessungsinstrument, das Pflegefachlichkeit, Kompetenzen, Prozesse, Interdisziplinarität, unterschiedliche Qualifikationsniveaus kombiniert mit Gesundheitsoutcomes, „Missed Nursing Care“, „Care Left Undone“ und Qualität in Verbindung bringt, wird in Deutschland mit dem eindimensionalen Verständnis von Gesundheitswirtschaft und Betriebswirtschaft in Krankenhäusern keine Chance haben.

SGB XI – Pflegeversicherung

Das SGB XI als Pflegeversicherung ist von vornherein ökonomisiert gedacht, geplant und eingeführt worden. Es war nie das Ziel, mit der Pflegeversicherung für eine bedarfsgerechte pflegerische fachliche Pflege zu sorgen. Das eigentliche Ziel war, auf Kosten der pflegenden Angehörigen zu ermöglichen, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich zu Hause versorgt werden. Ganz zu Anhang war der Hintergrund, dass die Kosten der BSHG (Bundessozialhilfegesetz) für die stationäre Langzeitpflege gestiegen sind und diese sollten reduziert werden. Beim SGB XI geht es im Grunde um Laienpflege und allenfalls um Finanzierung von Basispflege durch Pflegefachpersonen oder Pflegehelferinnen. Die Tatsache, dass ein Pflegebedürftigkeitsbegriff dann zugrunde gelegt wurde, um zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern die Maßnahmen professioneller Pflege auszuhandeln, obwohl weder der festgelegte Pflegegrad noch ein Pflegebedürftigkeitsbegriff etwas über Pflegebedarfe aussagt, offenbart die durchgehende Ökonomisierung des SGB XI.

Aber diese Finanzierung des SGB XI führt bspw. dazu, dass viele pflegefachliche Aufgaben nicht finanziert werden oder erwartet wird, dass diese in der Durchführung der Basispflegeleistungen von den Pflegefachpersonen oder Pflegehelferinnen durchgeführt werden. D.h., das SGB XI ist Ökonomisierung par excellence: es wird eine Basisleistung finanziert zu einem geringen Entgelt mit der explizit formulierten Erwartung, dass die Fachleistung mitgeleistet wird. In der stationären Langzeitpflege hat Kerstin Freund mal untersucht, dass 60% der Leistungen, die gemäß SGB XI erwartet werden, nicht von Pflegekassen bezahlt werden.

Das neue Personalbemessungsinstrument für stationäre Langzeitpflege setzt dann die Laisierung fort. Es wird ein Pflegebedürftigkeitsinstrument zugrunde gelegt, das keine Pflegebedarfe abbildet. Es werden mehr und mehr HelferInnen Einzug halten. Es wird nicht untersucht, welche Auswirkungen diese Fortschreibung auf Verschlechterung Pflegebedürftigkeit, Komplikationen, Einweisungen in Kliniken etc. hat.

Zum Schluss…

Es ist mir hier nur möglich, einen kleinen Ausschnitt der Ökonomisierung des Gesundheitssystems darzustellen. Aber mit dieser werden Anreize gesetzt, die nicht zwingend zum Wohle der Patientinnen und Patienten, der Pflegebedürftigen und aller im Gesundheitssystem tätigen Berufsgruppen sind. Wir sollten uns auch die Frage stellen, wie gut sind wir im Vergleich mit anderen Ländern bezogen auf Gesundheitsoutcomes, Lebenserwartung, Entwicklung Pflegebedürftigkeit und ähnliches aufgestellt sind. Da wir relativ gut durch die erste Welle von Covid-19 gekommen sind, entsteht der trügerische Eindruck, dass unser „gutes“ Gesundheitssystem dafür verantwortlich sein könnte. Die Wahrheit ist aber, dass wir uns einen gesamtgesellschaftlichen Lock-Down geleistet haben, der verhinderte, dass auf einmal viele Menschen sehr krank wurden.

Covid-19 zeigte aber auch, dass unser Gesundheitssystem Schwächen hat. Lagerung von Schutzmaterialien wurden umgestellt auf On-Demand-Bestellungen, da Lagerhaltung im klassischen ökonomischen Denken der produzierenden Industrie als zu teuer betrachtet wird. Das Pflegepersonal wurde in allen Sektoren auf ein Mindestmaß zusammengeschrumpft, um nur noch aus Sicht der Leitungen erforderliche notwendige Maßnahmen auf Minimalniveau in „normalen Zeiten“ zu ermöglichen.

Und damit haben wir meiner Meinung nach ein weiteres Problem im Gesundheitssystem: viel zu häufig werden Modelle und Denkansätze aus der produzierenden Industrie und Wirtschaft auf das Gesundheitssystem übertragen. Es erscheint bereits als ein Fehler, von Gesundheitswirtschaft zu sprechen. Es benötigt neuer gesundheitsökonomischer Modelle, über die wir in Deutschland offensichtlich nicht verfügen und eines Denkens über eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung, die nur interdisziplinär erfolgen kann. Ein ökonomisiertes Gesundheitssystem verhindert vor allem auch eine interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und stärkt die toxischen Hierarchien – zum Schaden der Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftigen.

Viele relevante Themen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens konnte ich hier nicht ansprechen. Aber aus meiner Perspektive benötigt es aus den Berufen und deren Fachdisziplinen eines konzertierten wissenschaftlichen Ansatzes. Jede Diskussion, die zu Reformen und „neuen“ Denkansätzen zur gesundheitlichen Versorgung erfolgen, werden zumeist aus einem eindimensionalen und relativ veralteten Denkens des betriebswirtschaftlichen Erlöses gedacht und mit der Frage: „Wie viel kostet es?“ hinterlegt. Selten oder gar nicht wird gefragt: waren die bisherigen Reformen gesundheitsökonomisch erfolgreich? Waren sie für die Patienten und Patientinnen sinnvoll? Haben sie bezogen auf die umfassende gesundheitliche und sektorenübergreifende Versorgung überhaupt Kosten gespart? Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen bezogen auf Gesundheit, Wohlbefinden, gesundheitliche Schäden, Verrentung, Entstehung Pflegebedürftigkeit, vorzeitiger Austritt aus Beruf, unnötiger Kosten wegen der Anreize im System etc. entstehen?

Prof. Dr. habil. Martina Hasseler

https://www.martina-hasseler.com
Dwarslooper@HasselerMartina

3760 € für 5 Minuten Vorhofflimmern

23. September 2020

Die Intensivstation ist eine der teuersten Abteilungen des Krankenhauses, ein Intensivbett kostet alleine zwischen 1100 und 1500 € pro Tag. Und wo viele Kosten entstehen, werden vom DRG-Katalog auch hohe Gelder vergütet. Ich will nicht zu sehr auf das hochkomplexe System aus Fallpauschalen, OPS-Prozeduren und PCCLs eingehen aber gerade hier zeigt sich wie krank das System ist und dass die Vergütung oft wenig mit tatsächlicher Erkrankungsschwere und wirklichem Behandlungsaufwand zu tun hat.
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Merci? – Nein, danke!

23. September 2020

Es ist 11:45 Uhr, ich komme zur Arbeit. Das erste was ich gesagt bekomme, wohlgemerkt ohne irgendeine Art von Übergabe, ist, dass ich für 25 Patienten das Mittagessen austeilen darf. Danach bin ich dafür zuständig, fünf Zimmer zu putzen, aufzufüllen und die Betten neu zu überziehen. Die Übergabe verpasse ich, weil vom Frühdienst Tätigkeiten liegengeblieben sind, die nicht bis zum Spätdienst unerledigt bleiben sollen. Egal, meine Aufgabe werden eh nur Hilfstätigkeiten wie die oben genannten und Vitalzeichen kontrollieren sein.
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Kommerzialisierung in der Medizin oder #EmamiSchreibt für #Twankenhaus

23. September 2020

Es freut mich, dass in den letzten Monaten das Thema Kommerzialisierung in der Medizin zunehmend wahrgenommen wird. Dabei richtet sich das Augenmerk oft auf Fragen wie die Rolle privater Krankenhausträger, den wachsenden Anteil nicht-medizinischer Kapitalgeber und Träger im Bereich medizinischer Versorgungszentren und den zunehmenden Einfluss von Kaufleuten in Krankenhäusern u.ä.

Alles berechtigte Punkte, alles wichtige Probleme, über das alles müssen wir gemeinsam reden und uns Gedanken machen. Was mich aber persönlich bewegt und interessiert, ist die Frage, wo wir uns als Ärzt*innen in diesem ganzen Prozess sehen. Im Klartext: Sind wir bereit aufzuarbeiten, welchen Anteil wir daran haben, dass die Dinge heute so sind wie sie sind?
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Wir müssen Reden ….. ein Plädoyer für die Reflexion bei der Wahl der ärztlichen Therapie

22. September 2020

Häufig werden Ärzt:innen – manchmal ernsthaft, manchmal im Scherz – als Handwerker:innen bezeichnet, entsprechende etwas despektierliche Bezeichnungen sind etwa die Knochen- oder Seelenklempner:in.

Wenn man diesen Gedankengang nun etwas weiter denkt, so kann man schon Analogien in der Arbeit einer Handwerker:in oder einer Ärzt:in feststellen.

So kommt eine Fließenleger:in in das Bad der Kund:in und stellt fest, das fünf der blauen Kacheln von der Wand gefallen sind (Diagnose) und nach Vorbereitung des Untergrundes werden diese Kacheln wieder an die Wand geklebt (Therapie).
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Eine gesunde Portion Ökonomie

22. September 2020

Über Geld spricht man nicht – diese Volksweisheit darf im Gesundheitswesen nicht gelten. Steigende Kosten, regulierte Märkte und schwankende Mittel werden Finanzierungsfragen weiter in den Mittelpunkt rücken. Eine Debatte über den bestmöglichen Einsatz der vorhandenen Ressourcen ist daher höchst relevant.

407,4 Milliarden Euro – so hoch schätzt das Statistische Bundesamt die Gesundheitsausgaben im Jahr 2019. Das sind mehr als 4.900 € pro Kopf und rund 11,8 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Im europäischen Vergleich sind wir damit Spitzenreiter. Die Ausgaben wuchsen dabei in den vergangenen Jahren jährlich um rund 4 Prozent.

Trotzdem herrscht an vielen Stellen statt sprudelnder Geldquellen eher Investitionsstau. Bestes Beispiel ist der Krankenhaussektor, der eigentlich schon deutlich digitaler aufgestellt sein könnte, als er heute ist. Veraltete IT-Systeme und vielfach papier- oder faxbasierte Prozesse sind oft eher Regel als Ausnahme. Die Missstände sind so offensichtlich, dass mit dem Krankenhauszukunftsgesetz nun sogar der Bund einspringt und entsprechende Mittel für dringend benötigte Investitionen bereitstellt.

Die Vermutung liegt also nahe, dass es uns hierzulande nicht primär an Geld mangelt – sondern eher an einer guten Verteilung. Diesen Schluss unterstützt das länderspezifische Gesundheitsprofil der Europäischen Kommission, in dem jährlich die Gesundheitssysteme der einzelnen EU-Länder analysiert und miteinander verglichen werden. Darin wird das deutsche System als vergleichsweise teuer und ineffizient abgestraft.

Noch ist der Schmerz zu ertragen, da Mittel weiterhin erschlossen werden können. Ganz anders könnte es in ein paar Jahren aussehen, wenn die Gesundheitsausgaben durch den demografischen weiter ansteigen werden. Wie schnell ein vermeintlich krisenfestes System an seine Grenzen kommen kann, zeigte nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie.

Mehr Effizienz statt Kürzungen

Es ist also mehr Effizienz gefragt, aber was heißt das genau? Instinktiv mögen manche da an das Klischee der Unternehmensberatung denken, die vor allem durch breite Entlassungen die Bilanz ihres Auftraggebers aufhübscht. Im Gesundheitssystem kann dies niemand ernsthaft fordern, schließlich arbeiten hier schon viele Beschäftige am Anschlag und das hohe Arbeitspensum ist in Bereichen wie der Pflege für viele der Anlass ihren Berufszweig ganz zu wechseln. Auch Lohnkürzungen sind in einer Branche, die den Fachkräftemangel bereits heute schmerzlich zu spüren bekommt, keine Option – im Gegenteil wird die Debatte um eine gerechte Entlohnung gerade lebendig geführt.

Vielmehr müssen die verfügbaren finanziellen Mittel dazu genutzt werden, vorhandene Prozesse zu verbessern oder ganz neu zu denken. Genau an dieser Stelle kann die Digitalisierung ansetzen. So errechnete die Unternehmensberatung PwC, dass durch den Einsatz digitaler Lösungen im Gesundheitswesen die Effizienz um 15 bis 20 Prozent steigen könnte. Ganz besonders geeignet sind die vergleichsweise zeitintensiven Prozesse in der Verwaltung und der Dokumentation. Wenn diese zunehmend automatisiert werden, wird zusätzlich mehr Zeit für die persönliche Behandlung frei – mit positiven Effekten für Patientinnen und Patienten sowie medizinischem Personal gleichermaßen.

Zentral ist es, dass die Digitalisierung nicht als Selbstzweck angesehen oder auf die reine Kostensenkung reduziert werden darf. Stattdessen müssen tatsächliche Mehrwerte für diejenigen geschaffen werden, die am Ende die Lösungen benutzen. Das fordert im Umkehrschluss ein besseres Verständnis, wie Ärztinnen und Ärzte und andere Leistungserbringer IT nutzen und welche Erfahrungen sie dabei machen. Genau aus diesem Grund hat der Marburger Bund gemeinsam mit dem Bundesverband Gesundheits-IT das Analyse-Tool Check IT gestartet, das explizit den Anwendernutzen in den Fokus nimmt – und damit ein Gegengewicht zur vorherrschenden rein technischen Perspektive schafft.

Fazit

Solange wir in einem marktwirtschaftlich organisierten System leben, werden marktwirtschaftliche Prozesse auch für die Gesundheitsversorgung prägend bleiben. Das Gesundheitssystem ist jedoch besonders, da es das Leben selbst schützen soll und eine ethische Verantwortung für alle darin Tätigen trägt. Die Diskussion darf sich nicht zuspitzen auf „Ökonomisierung – ja oder nein?“, sondern muss fragen: „Was macht gute Versorgung aus und welche ökonomischen Mechanismen und Rahmenbedingungen brauchen und wollen wir dafür?“. Gerade der vermehrte Einsatz digitaler Lösungen ist ein guter Weg, um die verschiedenen Perspektiven und Interessen in Einklang zu bringen und unsere Versorgung sogar noch weiter zu verbessern.

Sebastian Zilch

https://www.bvitg.de

Beginnen wir doch den Wahlkampf!

22. September 2020

Pflegende, die aus Überzeugung in den Beruf starten und nach wenigen Jahren bei Überlastung, schlechter Bezahlung und fehlender Aussicht auf Besserung aufgeben müssen.
Assistenzärzt*innen, die nach Jahren der Theorie idealistisch in der Klinik beginnen und an fehlender Ausbildung und DRG-gerechter Massenabfertigung verzweifeln.
Therapeut*innen, die mit hohem Anspruch in die Krankenhäuser kommen und rasch merken, dass die Anzahl an Patient*innen pro Therapeut*in keinen Anspruch erlaubt.

Wir erleben Beratungsfirmen, die unsere Krankenhäuser durchstreifen, um uns die Optimierung der Fallpauschalen (nicht der Patientenversorgung!) nahezubringen. Und das seltsame ist: Wir alle wissen das. Auch die Politik. Wir sehen den Abverkauf unserer Krankenhäuser an Aktiengesellschaften. Wir sehen die fehlende Ausbildung der Ärzt*innen, die uns an einer guten medizinischen Versorgung in der Zukunft zweifeln lässt. Wir wissen um den Pflegemangel, der die künftige menschenwürdige medizinische Versorgung der Bevölkerung kaum mehr sicherstellen kann.

Es gibt eine Vielzahl großartiger Vereine, Gewerkschaften und Einzelpersonen, die das Problem erkannt und den Kampf aufgenommen haben. Die Kampagne Bunte Kittel, gegründet von Pflegenden und Ärzt*innen begreift sich als GEMEINSAME Plattform für all diese Gruppen. Es gibt gemeinsame Gegner. Sie heißen DRG-System und Abverkauf von Krankenhäusern an Aktiengesellschaften. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Beginnen wir doch den Wahlkampf!

Linda und Michel für @BunteKittel

Warum ich der Klinik den Rücken kehrte.

21. September 2020

Vor elf Jahren war für mich klar – ich möchte als Diätassistentin arbeiten. In einer psychiatrischen Einrichtung. Als Reaktion auf meine Job-Wahl in der Psychiatrie folgte mir bis zuletzt die Frage: „Was machst du denn da als Beraterin? Die sind doch (nur) psychisch krank“. Das waren noch die nett formulierten Aussagen aber sie bestätigen mir das, was viele über die Betroffenen denken. Ernährungstherapie in psychiatrischen Einrichtungen wird nicht ernst genommen. Wieso eigentlich nicht?

Ein Hauptgrund für die Job-Wahl war genau diese Stigmatisierung und sie geschieht nicht ausschließlich unter Fachfremden. Selbst Menschen, die ebenfalls im Gesundheitswesen tätig sind, neigen dazu. Ich erinnere mich noch heute an die Aussage vom Chefarzt der Klinik, psychisch kranke Menschen würden keine Ernährungstherapie benötigen. Wenn doch, sei sie ohnehin aufgrund mangelnder Compliance oder „wichtigeren“ Problemen überflüssig. Derartige Aussagen bekam ich sehr oft zu hören.

Aber warum? Psychisch Erkrankte leiden ebenfalls unter Diabetes, Steatohepatitis, Gicht oder Adipositas. Nicht nur die „gesunde“ Bevölkerung. Manche haben krankheitsbedingt sogar ein noch höheres Risiko für Folgeerkrankungen. Es ist dann eine Nebendiagnose, aber sollte sie deswegen unbehandelt bleiben? Hinzu kommt: einige Psychopharmaka tragen ihren Teil zur Gewichtszunahme bei. Die PatientInnen brauchen also auch in Krisen-Situationen eine Betreuung. Egal, ob sie zwei Wochen, sechs Monate oder lebenslang in Betreuung sind.

Soweit so gut. Wieso machen wir das also nicht einfach?

Die Ernährungstherapie bringt der Klinik aber in der Regel kein Geld. Sollten PatientInnen mit Diabetes (Zufallsbefund bei Aufnahme) eine Ernährungstherapie erhalten? Ja. Sollte ein Mann mit Essstörung, begleitend zur Psychotherapie, eine Ernährungstherapie erhalten? Ja.

Sollten PatientInnen mit Leberzirrhose, auf der Suchtstation, eine streng eiweißarme Kost erhalten? Nein. Wird dies noch häufig von der Station angefragt? Ja.

Bei 850 Betten gab es natürlich rege Nachfrage nach Beratungen, aber ich konnte sie aufgrund von Zeitmangel schlicht nicht durchführen. Wenn es gut lief, konnte ich einmal die Woche für zwei Stunden (jeweils 30 Minuten für Anamnese & Beratung) Beratungen machen. Außer es war Ferienzeit oder es waren viele krank, oder es war mal wieder Personalmangel… (ihr könnt euch vorstellen, wie das lief). Für die zwei Stunden musste ich sehr lange mit dem stellvertretenden Küchenleiter verhandeln. Er sah es nicht so gerne, wenn ich die Küche verließ. Bin ja schließlich als Küchenpersonal eingeplant und fehle dann dort. Ich verstehe seine Sicht als Personalplaner, aber ich wollte einfach meinen Job machen und mich nicht schlecht fühlen müssen, weil ich auf Station gehe. Von den KollegInnen, die sich dann echauffierten, warum ich zum Beispiel im Büro am PC saß (anstatt zu arbeiten ????) oder auf Station ging, ganz zu schweigen.

Die Kostenstelle für uns Diätassistenten ist in dem Haus schon immer der Küche zugeordnet. Das liegt daran, dass wir häufig nicht als TherapeutInnen, sondern eher als „Diät“-Köche gesehen werden. Das liegt natürlich auch an unserer beruflichen Vergangenheit, was ich hier aber aus Platzgründen nicht weiter ausführen kann. Der Punkt ist: es gibt keinen finanziellen Anreiz für die Klinik, das Problem zu ändern oder zu lösen. Wir kosten Geld und niemand möchte uns als „Kostenfaktor“. So bleiben wir als „Mädchen für alles“ in der Klinikküche und machen einen unlösbaren Spagat.

Wir werden so ausgebildet, dass wir Ernährungstherapien durchführen, aber auch das Versorgungsmanagement einer Großküche händeln können. Wir sind in der Lage, diätetische Sonderkost zuzubereiten, Kostpläne zu berechnen, um Warenwirtschaft kümmern usw. Wir kümmern uns um das Zubereiten der Sonderkosten, kontrollieren die Essensausgabe, machen die Bestellungen, bearbeiten Reklamationen oder Rückfragen. Je nach Aufgabenverteilung im Haus.

Ich war dort knapp zehn Jahre tätig. Natürlich habe ich versucht, etwas zu ändern und auch das Gespräch mit den Verantwortlichen gesucht. Ich habe sehr viele Unterhaltungen geführt, bekam häufig auch Zustimmung, wurde aber immer wieder vertröstet. Ich habe in der Chefärztekonferenz der Klinik vorgesprochen, warum wir mehr Zeit für die Patienten benötigen. Es stimmten zwar alle zu, dass die Ernährungstherapie wichtig ist, aber keiner wollte oder konnte mir helfen. Also blieb alles beim Alten. Ich war die meiste Zeit die alleinige Diätassistentin für ein 850 Betten-Haus. Immerhin konnte ich nach einigen Jahren erwirken, dass ich eine weitere Diätassistenten-Stelle genehmigt bekam, da der Workload einfach zu viel wurde und es keine Vertretung für mich gab.

Ich war die mangelnde Wertschätzung für mich, meine Arbeit und für die Patienten leid und bin gegangen. Ich habe aufgegeben, aber viel Vorarbeit für meinen Nachfolger geleistet. Die zweite Stelle ist nach meinem Weggang noch immer unbesetzt, da die BewerberInnen fehlen. Immer weniger DiätassistentInnen wollen sich nach der anspruchsvollen Ausbildung/Studium in die Küche stellen.

Mein Nachfolger hat jetzt im Herbst wichtige Gespräche und ich wünsche ihm und den PatientInnen, dass unser Beruf endlich in den internen „Therapeutenpool“ aufgenommen wird. Dort sind bereits alle Therapeuten in einer Kostenstelle zusammengefasst. Sporttherapeuten, Ergos, Physios … Das würde bedeuten: keine Stelle in der Küche, sondern mehr Therapiezeit. Warum wir da bisher nicht waren? Weil wir nicht als Therapeuten wahrgenommen werden. Man hat(te) uns einfach nicht auf dem Schirm.

Für den öffentlichen Dienst wäre diese Änderung doch recht schnell gegangen, oder? Was sind schon zehn Jahre.

*Die Autorin dieses Beitrags möchte anonym bleiben.

Ökonomisierung im Gesundheitswesen und die Finanzierung von Krankenhäusern

21. September 2020


Zunächst einmal ein Hot Take: Ökonomisierung im Gesundheitswesen ist an sich erst einmal nicht problematisch. Das Problem ist nicht, dass ökonomisch gewirtschaftet und gehandelt wird, das Problem ist, dass im Gesundheitssystem vieles bis so ziemlich alles auf Gewinne ausgerichtet ist und dass das zugrunde liegende Finanzierungssystem fehlerhaft ist.

Ein Beispiel: Bei ökonomischen Evaluationen wird geschaut ob und welche Maßnahmen einen Nutzen haben (meist in einem Effektmaß abgebildet, seltener in Geld abgebildet) und dieser Nutzen bzw dieses Effektmaß wird in Relation zu den Kosten gesetzt. Die Reinform, also dass sowohl Kosten als auch Nutzen in Geld abgebildet wird, ist die Kosten-Nutzen-Analyse.
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Von der Kritik über das Ideal zur Realität

21. September 2020

Wohl kaum jemand käme auf den Gedanken, in der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens etwas Gutes zu sehen. Aber nichtsdestotrotz reagieren viele auf die gegenwärtige Finanzierung und Ausgestaltung eines entscheidenden Teils unserer Daseinsvorsorge mit einem achselzuckelnden Verweis auf die Alternativlosigkeit der Fallpauschalen – wer keine Lösung hat, möge sich doch auch mit Kritik zurückhalten. Manch einer glaubt vielleicht sogar daran, dass der Wettbewerb unter den Krankenhäusern die Qualität steigere. Was zynisch ist, wird doch primär nicht gute Qualität vergütet.
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