Ökonomisierung im Gesundheitswesen und die Finanzierung von Krankenhäusern

21. September 2020


Zunächst einmal ein Hot Take: Ökonomisierung im Gesundheitswesen ist an sich erst einmal nicht problematisch. Das Problem ist nicht, dass ökonomisch gewirtschaftet und gehandelt wird, das Problem ist, dass im Gesundheitssystem vieles bis so ziemlich alles auf Gewinne ausgerichtet ist und dass das zugrunde liegende Finanzierungssystem fehlerhaft ist.

Ein Beispiel: Bei ökonomischen Evaluationen wird geschaut ob und welche Maßnahmen einen Nutzen haben (meist in einem Effektmaß abgebildet, seltener in Geld abgebildet) und dieser Nutzen bzw dieses Effektmaß wird in Relation zu den Kosten gesetzt. Die Reinform, also dass sowohl Kosten als auch Nutzen in Geld abgebildet wird, ist die Kosten-Nutzen-Analyse.
Diese Kosten-Nutzen-Analysen sind nicht selten hilfreich und Grundlage, um Therapien zuzulassen oder verschiedene Therapien zu vergleichen und möglichst die zuzulassen die den besten Nutzen bei möglichst geringen Kosten abbilden. Dies ist nicht immer eindeutig, beispielsweise wenn Maßnahme 1 viel kostet aber einen sehr hohen Nutzen hat während Maßnahme 2 weniger kostet aber auch weniger nutzt, hier kommt es darauf an worum es genau geht. Wenn der höhere Nutzen mehr Lebensjahre sind wird eher mehr Geld dafür ausgegeben als wenn der höhere Nutzen bedeutet, dass eine Früherkennungsuntersuchung nicht gemacht werden muss.

In Deutschland führt diese Berechnungen das IQWIG durch, in Großbritannien ist es das NICE, das National Institute for Health and Care Excellence.
Es ist nicht immer gut oder ethisch was bei diesen ökonomischen Evaluationen herauskommt weshalb zusätzlich immer gefragt werden muss ob das Ergebnis so vertretbar ist (wie bspw bei Hüftoperationen bei Menschen über einem bestimmten Alter: ist es vertretbar diese zu untersagen auch wenn die ökonomische Evaluation dagegen spricht?) aber das sind eher die Grenzfälle und in den meisten Fällen geht eine bessere Bewertung mit einer Steigerung der Qualität einher. Denn: eine bessere Gesundheitsversorgung bedeutet, dass Menschen seltener erkranken, eine bessere Gesundheit haben und auch länger arbeiten können. In Deutschland heißt das damit auch: höhere Sozialabgaben und das auch über eine längere Zeit.

Kurzfristige Gewinne statt mittel- bis langfristiger Nutzen

Das Problem liegt also nicht in der Ökonomisierung an sich, es liegt woanders: es geht um kurzfristiges Geld, Gewinne aus dem Gesundheitssystem, eine Orientierung der Finanzierung von Krankenhäusern an einer medizinischen Sichtweise und darum, dass mittel- bis langfristige Einsparpotentiale, zum Beispiel durch eine bessere Prävention, integrated Health-Care (ein multiprofessionelles Primärsystem mit starker Vernetzung, also: dass nicht fast alles über Ärzt:innenpraxen geht, sondern, dass Pflege, Therapeut:innen, Ärzt:innen, Apotheker:innen uvm im Team im Primärsystem auf Augenhöhe zusammen und miteinander arbeiten, jeweils mit eigenen Kompetenzen und Aufgabengebieten, Direktzugängen und das Ziel dieses Teams ist immer nur das Wohl der Patient:innen, ein Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=S-029Yf7AYM) und vieles Andere dabei verloren gehen oder nicht gesehen werden.

Stattdessen gibt es in Deutschland wenig finanzielle Anreize für Krankenhäuser, dass die Versorgung auf generelle best practice in allen Bereichen ausgelegt wird. Es lohnt sich viel mehr, nur lukrative Fachrichtungen und Spezialisierungen anzubieten und auszubauen, statt Fachrichtungen auszubauen oder Professionen zu fördern, die zwar wichtig sind, aber kein Geld einbringen. Selbst wenn sich das mittel- bis langfristig für alle lohnen würde.

Das Finanzierungssystem der Krankenhäuser und die Pflege

Bisher war das nur eine sehr grobe Problembeschreibung. Ich sehe dabei das größte Problem im Finanzierungssystem. Es wird momentan viel am Finanzierungssystem herumgearbeitet aber die strukturellen Probleme, wie die Fehlanreize, werden nicht angegangen.

Stattdessen wurde die Finanzierung von Teilen von Pflege ausgelagert und dem Kostendeckungsprinzip unterworfen, was den Krankenhäusern zwar keine Anreize liefert niemanden einzustellen aber mehr Pflegefachpersonen im Krankenhaus bedeuten auch nicht mehr Geld für die Krankenhäuser, gleichzeitig ist für die Finanzierung egal was die Pflegefachpersonen tun, weshalb es sogar Anreize gibt Aufgaben anderer Berufe auf die Pflege abzuwälzen da es für das Krankenhaus günstiger ist. Entsprechend gibt es weiterhin wenige Krankenhäuser, die die Pflege aktiv fördern und fordern, andere Krankenhäuser sehen Pflege damit weiter als „Die sind einfach so da“-an.

Und das ist nur ein konkretes Beispiel dafür, dass die grundlegenden Probleme nicht angegangen werden. Stattdessen werden kleine unzureichende Einzellösungen erarbeitet die aber auch nur den Status quo festigen und benötigte Reformen verzögern.

Wie könnte ein gutes Finanzierungssystem für Krankenhäuser aussehen?

Das ist die Frage schlechthin. Die Frage die niemand eindeutig beantworten kann.

Fakt ist: ein gutes Finanzierungssystem für Krankenhäuser muss alle Professionen abbilden und mitdenken und darf da keinen Überhang in eine Richtung haben. Es muss sich für Krankenhäuser, eben da sie Wirtschaftsunternehmen sind, finanziell lohnen, dass sie Maßnahmen einführen und umsetzen die sich evtl erst mittel- bis langfristig gesamtgesellschaftlich lohnen.

Es bietet sich statt der ICD als grundlegendes System die ICF an, oder eine Mischung aus Pflegediagnosen, ICD und ICF als grundlegende Klassifikationssysteme, auf denen die Krankenhausfinanzierung aufbaut. Hier braucht es gute Konzepte und Systeme. Dies wäre etwas was die Gesundheitsökonomie mit den betreffenden Professionen und Wissenschaften zusammen erarbeiten sollte. Aufgebaut auf internationaler Evidenz sowie immer mit dem Blick auf die Gesundheitsdefinition der WHO.

Und auf übergeordneter Ebene, also bei den Kostenträgern, im G-BA, in der Bundespolitik muss mehr auf mittel- bis längerfristigen Nutzen geachtet werden.

Zu guter Letzt noch ein Artikel über den finanziellen Nutzen guter Pflege aus der Schweiz. Das sind Potentiale die in Deutschland nicht genutzt und abgerufen werden:

https://nursing.unibas.ch/fileadmin/user_upload/nursing/Artikel_Krankenpflege_Pflege_spart_Milliarden_Sept_2020.pdf

*Der Autor dieses Beitrags möchte anonym bleiben.