Ökonomie und die sichere Geburt – Eine Patientinnensicht

19. September 2020

Mein Name ist Teddy, ich bin 27 Jahre alt, Mutter zweier Töchter und ich möchte heute über Geburten reden. Meine zweite Tochter ist zwei Wochen alt und die Geburten hätten unterschiedlicher nicht sein können. Woran lag das? Klar, es war diesmal nicht das erste Kind. Aber auschlaggebend war, dass ich diesmal eine Hebamme bei mir hatte und das die ganze Zeit, ab dem Beginn der Eröffnung.


Ein Rückblick auf vor drei Jahren: Ich war eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin meines ersten Kindes noch bei meiner Schwiegermutter ein bisschen Urlaub machen. Mein Mann und ich wollten nach Hause fahren, wenn es zum ersten Mal irgendeine Wehentätigkeit gab. Nun war es aber so, dass ich vor dem Tag der Geburt keine einzige Wehe hatte und wir für die 300km Rückweg letztlich zu spät losgefahren sind. Da dies kein Geburtsbericht werden soll, spulen wir vor:
19:30 Uhr kam es zum Blasensprung und die bis dahin erträglichen Wehen wurden schlagartig extrem schmerzhaft und häufig, während der Muttermund allerdings noch nicht im Ansatz eröffnet war. In besagtem Krankenhaus gibt es vier Kreißsäle und tagsüber zwei Hebammen plus zwei Hebammen in Ausbildung. Was auf den ersten Blick ganz gut erscheint, ist auf den zweiten Blick schwierig. Bis zum Beginn der Nachtschicht wurde ich nun von einer der Auszubildenden betreut. Aufgrund der Schmerzen erinnere ich mich an wenig. Was ich noch weiß sind Sätze wie „So kann Ihr Kind nie rauskommen!“ und „Aber sie hat doch schon einen Tropf, das muss erstmal reichen!“. Ich hatte nun aber Wehen in Abständen unter zwei Minuten, kam mit den Schmerzen nicht zurecht und hatte nicht nur meinen Fokus komplett verloren, sondern war eigentlich komplett handlungsunfähig, da ich vorher schon 17h lang Wehen hatte, die zwar gut zu veratmen aber nicht zu ignorieren waren. Ich war müde und wusste nicht, wie ich die Schmerzen beherrschen sollte. Ich hätte die Hilfe einer Hebamme gebraucht, aber die bekam ich nicht.
Die Auszubildende kam alle 20 Minuten mal schauen, geholfen hat sie uns nicht. Mein Mann hat mehrfach geklingelt, er hat mehrfach versucht, dass jemand vom Fach länger als 2 Minuten im Raum bleibt und mir irgendwie hilft, die Wehen wieder kontrollieren zu können und irgendetwas zur Geburt beizutragen. Aber sie hatten keine Zeit, denn in den anderen Kreißsälen waren die Geburten schon weiter vorangeschritten und sie waren eben auch nur zu viert. Pech gehabt. Erst zur Nachtschicht kam dann eine Hebamme, die meine Erschöpfung wahrgenommen hat und sofort die Anästhesie zur PDA geholt hat. Fünf Stunden später kam unsere erste Tochter zur Welt und ich muss sagen, in dem Moment war ich einfach nur froh, dass alles vorbei war.

Völlig anders war das Geburtserlebnis dagegen vor zwei Wochen. Mein Wunschkrankenhaus ist die Uniklinik und in dieser gibt es zu jeder Zeit eine Hebamme pro Kreißsaal. Außerdem gibt es in jeder Schicht Hebammen in Studium und Ausbildung. Auch diesmal war ich von den Eröffnungswehen im ersten Moment überwältigt, aber ich hatte ab dem Betreten des Kreißsaals bis zur Geburt ununterbrochen die Hebammenstudentin bei mir. Sie hatte Zeit, denn die Dokumentation hat die Hebamme gemacht und sie war mir fest zugeteilt die Geburt zu begleiten. Ich hatte diesmal also Anleitung. Immer wenn ich anfing meinen Fokus zu verlieren, hatte sie eine Idee, was wir verbessern können. Bewegung, Positionswechsel, Anregungen wie ich meine Atmung in der Wehe fokussieren kann. Es war kein Vergleich zum ersten Mal. Ja, die Wehen waren schmerzhaft. Ja, zeitweise war ich überfordert. Ja, auch diesmal hatte ich zwischendurch das Gefühl es nicht zu schaffen. Aber durch die ununterbrochene Betreuung einer hierfür ausgebildeten Person habe ich es geschafft, von der Situation nicht übermannt zu werden. Zum Ende der Geburt kam dann auch die Hebamme, sodass die Austreibungsphase sogar von zwei Fachfrauen begleitet wurde. Ich wusste zu jeder Zeit, dass mir nichts passieren wird und dass alles gut geht. Dieses Gefühl hatte ich bei der ersten Geburt nicht und auch mein Mann sagte mir damals im Nachhinein, dass er wirklich Angst um mich hatte.

Was hat das nun mit Ökonomisierung zu tun? Ganz einfach. Eine Hebamme plus Studentin pro Kreißsaal kann sich nicht wirklich rechnen. Wenn die Auslastung jederzeit 100% wäre sicher, aber meistens sind doch ein oder zwei Kreißsäle den ganzen Tag frei. Sogar hier an der Uniklinik. Es wäre also wirtschaftlich sinnvoll, bei den Hebammen zu sparen und die Anzahl der Anwesenden einfach an der durchschnittlichen Auslastung festzumachen. So wird es wohl in dem anderen Krankenhaus sein, wie es ja auch in den meisten Krankenhäusern ist. Tagsüber mag der Schlüssel noch bei einem erträglichen Niveau sein, spätestens nachts kann man froh sein, wenn regulär mehr als eine Hebamme da ist. Zum Glück haben wir hier ganz offensichtlich eine Führungsebene, die sich von dem Steckenpferd des Chefarztes – nämlich der sicheren Geburt – leiten lässt und nicht die angestellten Hebammen reduziert, nur weil es im größten Teil der Zeit ginge.
Die ein oder andere mag jetzt sagen, dass die fehlenden Hebammen in den Krankenhäusern ja aber am Hebammenmangel liegt und nicht am Unwillen der Krankenhäuser. Aber wenn wir ehrlich sind, liegt ja auch der Mangel an der fehlenden monetären Attraktivität des Hebammenberufs und der Geburt an sich. Zum einen rechnet sich für viele Kliniken der Kreißsaal nicht, wir sehen dies an den Schließungen, die ja seit geraumer Zeit regelmäßig in den Nachrichten sind. Und wenn man dann trotzdem nicht auf den Kreißsaal verzichten will, muss man eben an anderer Stelle sparen.
Zum anderen ist es aber die Bezahlung der Hebammen an sich: Wie in der Pflege auch bekommen Hebammen für die Verantwortung, die sie tragen, und für die massive Arbeitsbelastung viel zu wenig Geld. Im Jahr der Pflegenden und Hebammen sollte man, statt sich für kaum existente Einmalzahlungen auf die Schulter zu klopfen, vielleicht doch mal eine Verbesserung der Rahmenbedingungen anstreben, damit jede Gebärende die sichere Geburt haben kann, die sie verdient.