Der Oma ihre neue Hüfte

18. September 2020

Es ist Freitagabend 23:30h die ZNA ist voll, Patienten reichen sich die Klinke in die Hand. Gestresste Ärzte in Weiterbildung versuchen im Trubel selber nicht unterzugehen.

Die Wagenhalle ist voll mit KTW, der letzte bringt die klassische Schenkelhalsfraktur nach Stolpersturz über Teppichkante in häuslicher Umgebung.

Die Dame ächzt unter Schmerzen, der Blick auf das fehlrotierte verkürzte linke Bein offenbart die Blickdiagnose. Es ist 23:50h die Dame ist zwischenzeitlich geröntgt, das EKG und die Blutentnahme laufen.
Frau Müller ist schockiert, sie braucht eine „neue Hüfte“ und bittet darum, die Tochter anzurufen. Auch diese ist schockiert, verspricht aber die Medikamentenliste mitzubringen und auch die altersschwache Katze der Mutter zu füttern und zum Aufklärungsgespräch vorbeizukommen.

Frau Müller wird mit Schmerzmitteln versorgt auf die Station verbracht. Der diensthabende Oberarzt ist not amused am Folgetag die neue Hüfte von Frau Müller implantieren zu müssen, aber die Qualitätssicherung schreibt eine Versorgung binnen 24h vor, sonst drohen bei wiederholtem Überschreiten der Sollquote empfindliche Kürzungen der Pauschalvergütung. Ergo OA Schneider, der gerade seine ersten Hintergrunddienste absolviert, ist jetzt für Frau Müller zuständig.

Nach Vorbereitung wird Frau Müller ‚m nächsten Vormittag in den OP verbracht. OA Schneider flucht, die studentische Hilfskraft hat sich krankgemeldet. Also muss der Dienstarzt halt alleine assistieren. Wird schon irgendwie gehen, 24 Stunden sind 24 Stunden hat der Chefarzt gesagt und OA Schneider will nicht der Dorn im chefärztlichen Auge sein.

Die OP dauert zwecks Unerfahrenheit und suboptimaler Helfermenge deutlich länger als sie im regulären Tagesgeschäft unter operativer Leitung des Endoprothetikers gedauert hätte, aber 24h sind 24h…. Sie wissen ja, der Rubel muss weiterrollen.

Frau Müller ist eine betagte Dame, die den Blutverlust und die Narkose mit einem postoperativen Delir quittiert. Ergo verliert Frau Müller wichtige Tage, an denen sie nicht mobilisiert werden kann. Auch danach tut sie sich schwer. Mit 87 ist man halt kein D-Zug mehr. Damit der MDK keine Krankenhaustage streicht in der Aktenprüfung erhält Frau Müller kontinuierlich intravenöse Schmerzmittel, obwohl sie eigentlich ohne auch sehr gut zurecht kommt. Die Venenentzündung tut ihr sehr weh, aber die Schmerzmittel müssen sein, sagen die Ärzte. Eine milde Hypokaliämie (erniedrigtes Blutsalz) wird mit Kalinor Brause ausgeglichen, immerhin kann man es dann verschlüsseln und das erhöht das Entgelt. Dass Frau Müller davon übel wird und Bananen auch geholfen hätten muss man ignorieren. Bananen bringen kein Geld.

Der Sozialdienst spricht in Anwesenheit der Tochter über weitere Unterbringung und Versorgungsdefizit. Immerhin sind schon 4 Tage seit der OP vorbei und Frau Müller nähert sich der mittleren Grenzverweildauer. Um Gewinn zu erwirtschaften möchte der Chefarzt, dass Frau Müller 1 Tag vor der mittleren Grenzverweildauer entlassen wird…. Die Laborwerte und die Wunde geben es her, aber laufen, laufen kann Frau Müller noch nicht. Also muss Frau Müller, die auch leider keine Rehafähigkeit erreicht hat, in eine Kurzzeitpflege. Da der Physiotherapeut Hausbesuche aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit nicht mehr machen kann, liegt Frau Müller von da an dauerhaft im Pflegeheim.

Klingt konstruiert? Leider nein! So geschieht es tagtäglich in deutschen Krankenhäusern.

#MenschVorProfit #KrankerKommerz

Beitrag von @saftmoppel