In kaum einem anderen medizinischen Bereich ist sektorenübergreifende Kommunikation wichtiger als im Notarztdienst. Man trifft auf Patienten, die man nicht kennt aber die in der Regel schwer krank sind. Für eine optimale Behandlung ist es essentiell, möglichst schnell an relevante Gesundheitsinformationen wie Vorerkrankungen, Allergien oder Medikamentenpläne zu kommen. Wenn man Glück hat, können Angehörige oder der Patient selbst Auskunft geben, doch gerade bei älteren Patienten ist dies häufig nicht der Fall.
Manche Patienten haben ihre Befunde säuberlich und chronologisch abgeheftet, doch in der Regel finden sich Arztbrief und Co bunt gemischt mit Rechnungen oder Kochrezepten in Schubladen, Schränken, Schreibtischen oder Handtaschen quer durch die Wohnung verteilt. Daher ist meistens ein Mitglied des Rettungsteams während der Versorgung mit der Recherche über mögliche Vorerkrankungen oder zurückliegende Krankenhausaufenthalte beschäftigt. Dieses kostet wichtige Zeit und bindet Ressourcen, die eigentlich bei der Behandlung benötigt würden.
Um diesem Problem Abhilfe zu schaffen wurden schon unterschiedlichste Konzepte vorgestellt: Es gibt die sogenannte „Notfalldose“ in der wichtige Befunde im Kühlschrank (sic) gesammelt werden können, damit die Retter schnell wissen, wo sie suchen müssen. Auch eine elektronische Gesundheitsakte auf der Versichertenkarte wurde in den letzten Jahren immer wieder diskutiert aber nicht zuletzt aus Datenschutzgründen bislang nicht umgesetzt. Manche Kliniken bieten sogar eine spezielle Hotline an, über welche rasch Befunde der behandelten Patienten angefordert werden können. Auch hier muss ein Spagat zwischen Datenschutz und Schweigepflicht, sowie der schnellen und unkomplizierten Verfügbarkeit für berechtigte Personen gefunden werden.
Gerade bei akuten Notfällen außerhalb der Klinik kommt erschwerend hinzu, dass Patienten aufgrund ihrer akuten Erkrankung oft selbst nicht direkt einwilligen, geschweige denn eine DSGVO konforme Erklärung unterschreiben können. Wichtige Therapieentscheidungen müssen zudem oft binnen Sekunden oder Minuten gefällt werden, so dass telefonische Anfragen oder das Anfordern von Befunden in der Regel schon alleine aus Zeitgründen unterbleiben und der Patient oft ohne wesentliche Hintergrundinformationen behandelt wird.
In der Notfallmedizin geht es hierbei nicht um die Blinddarmoperation von 1978, doch ob EKG-Veränderungen schon Jahre bekannt oder neu aufgetreten sind, ob der Patient Antikoagulantien einnimmt oder ob eine Novalgin-Allergie vorliegt sind Informationen, die die weitere Therapie maßgeblich beeinflussen und im schlimmsten Fall über Leben und Tod eines Menschen entscheiden können.
Auch in die andere Richtung ist die Kommunikation essentiell. Wenn ein Patient in der Notaufnahme angemeldet wird, sollte das Team der Notaufnahme schon vor dem Eintreffen Bescheid wissen, welche Symptome vorliegen und wie dringlich die Behandlung ist. Insbesondere bei sogenannten Tracerdiagnosen wie ST-Hebungsinfarkt, akuter Apoplex oder Polytrauma sollte auch die Behandlung in der Klinik ohne Zeitverzögerung stattfinden. Um dies zu gewährleisten ist es beispielsweise sinnvoll, wenn der Kardiologe sich schon vor Ankunft des Rettungsdienstes das Patienten-EKG ansehen kann, um beispielsweise zu entscheiden ob der Patient direkt aus dem RTW ins Herzkatheterlabor gebracht wird oder ob in der Notaufnahme noch weitere Diagnostik nötig ist. Damit gegebenenfalls nötige Rufdienste alarmiert und entspreche Ressourcen bereit gestellt werden können, sollten diese Infos möglichst schon an die Klinik übermittelt werden, während noch die Erstversorgung vor Ort stattfindet.
Auch das Team vom Rettungsdienst, sollte schon am Einsatzort sehen können, ob die nächst gelegene Zielklinik freie Kapazitäten hat oder beispielsweise alle Intensivbetten besetzt sind. Die Etablierung solcher Systeme ist bundesweit leider sehr uneinheitlich und unterschiedlich weit fortgeschritten. Manche Krankenhäuser nutzen das IVENA-System, bei dem der Rettungsdienst die freien Versorgungskapazitäten der umliegenden Kliniken über ein Webinterface minutengenau abrufen kann. Bei Anmeldung eines Notfallpatienten bekommt die Notaufnahme zudem wichtige Informationen wie Verdachtsdiagnose, Vitalwerte oder Dringlichkeit direkt angezeigt. Auch wenn dieses und vergleichbare Systeme sich immer weiter durchsetzen gibt es zahlreiche Fallstricke. So nutzt beispielsweise der RTW aus der nur 5 km entfernten aber in einem anderen Bundesland liegenden Rettungswache eine andere Schnittstelle als das näher gelegene Krankenhaus und kann deshalb keine Daten übermitteln.
Gerade in ländlichen Gebieten stellt die unzureichende Mobilfunk-Netzabdeckung zudem ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Viele der Programme sind zudem fehleranfällig und wenig intuitiv zu bedienen. Von Aspekten bei Abhörsicherheit und Verschlüsselung ganz zu schweigen.
So bleibt trotz aller Telematik oft nur der Griff zum Telefon, sofern man denn überhaupt Empfang hat.
Solche Telefonate laufen in der Regel nach folgendem Schema ab:
„Hallo hier Notaufnahme des Waldkrankenhauses Neustadt“
„Hallo hier Dr. Flow vom Rettungsdienst. Ich würde gerne einen Patienten mit akutem Apoplex anmelden“
„Moment, da muss ich sie an den Neurologen verbinden“
*Warteschleife*
„Neurologie Waldkrankenhaus Neustadt, Dr. Müller am Apparat“
„Hallo hier Dr. Flow vom Rettungsdienst. Ich würde gerne einen Patienten mit akutem Apoplex anmelden“
„Benötigt der Patient denn eine Überwachung auf Intensivstation?“
„Also meiner Meinung nach schon, er ist zunehmend somnolent.“
„Da muss ich auf der Intensivstation nachfragen, bleiben sie bitte am Apparat.“
*Warteschleife*
„Ja hier Dr. Müller nochmal. Unsere Intensivstation ist leider voll bis auf’s letzte Bett, wir können den Patienten hier nicht annehmen. Versuchen Sie doch mal das Stadtkrankenhaus, vielleicht haben die ja ein Bett frei.“
Gerade zu Stoßzeiten wie der Grippesaison ist es keine Seltenheit mehrere Kliniken durchzutelefonieren, bis man endlich ein Bett für den Patienten gefunden hat. Eigentlich ist ein bundesweites, digitales Anmeldeverfahren in diesem Bereich nicht nur überfällig, sondern eine der Grundvoraussetzungen um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten.
Aufgrund fehlender Standards und technischer Schwierigkeiten kommt es immer wieder vor, dass Patientendaten und Befunde über private Smartphones via WhatsApp und Co übermittelt werden. Dies funktioniert zwar schnell und unkompliziert, verstößt jedoch fast ausnahmslos gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen und kann trotz nobler Intention Klagen und Disziplinarmaßnahmen nach sich ziehen, weswegen von solchen „Hilfsmitteln“ nur dringend abgeraten werden kann.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die schnittstellenübergreifende Kommunikation in Notfallmedizin und Rettungsdienst trotz teilweise erheblichen Konsequenzen für die Patienten und deren weitere Therapie in weiten Bereichen noch deutlich verbesserungswürdig ist. Gerade die „mobile“ Arbeit an unterschiedlichsten Standorten mit wechselnden Rahmenbedingungen machen dies zu einem Problem was sicher nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Von ambitionierten Projekten wie dem „Telenotarzt“ sind wir angesichts der Probleme in der aktuellen Infrastruktur jedenfalls noch weit entfernt.
Wünschenswert wären einheitliche, sichere und zuverlässige Standards, sowie eine lückenlose Netzabdeckung zur mobilen Datenübertragung. Nur wenn diese Grundvoraussetzungen gesichert sind können wir die digitale Kommunikation in diesem Bereich noch weiter ausbauen.
Rein aus Sicht des Notarztes fände ich eine bundeseinheitliche, leicht auslesbare digitale Akte, die jeder Patient bei sich trägt, z. B. auf der Gesundheitskarte, enorm hilfreich, aber ich bin mir bewusst, dass dies nur mit Patientenwille und mit hinreichendem Datenschutz möglich wäre.