Überleben im Rettungsdienst

22. Mai 2019

Im Rettungsdienstgesetz steht u.a., dass wir lebensrettende Maßnahmen durchführen und die Transportfähigkeit von Patienten herstellen sollen. Es geht um Menschen, die sich in Lebensgefahr befinden und unverzüglich Hilfe benötigen. Es geht nicht in erster Linie ums Heilen oder Gesunden.

Es soll ums Überleben gehen!

Unsere Schichten sind in den meisten Fällen lang. Länger als andere Schichtarbeiter es gewohnt sind. Die meisten von uns „retten“ in 12- oder 24-Stunden Schichten.

„Hast du Tag- oder Nacht?“ „An dem Tag hab ich 24er.“ Rettungsdienst-Slang.
Im Schnitt ist ein Rettungsdienstmitarbeiter bei einer voller Stelle durch Bereitschaftszeiten, welche überhaupt erst eine Ausweitung der Arbeitszeit auf über zehn Stunden erlauben, 48 Stunden in der Woche auf der Arbeit. Überstunden bei sich vergrößerndem Personalmangel oder angeordneter Mehrarbeit nicht eingerechnet, denn Überleben wartet nicht den Schichtwechsel ab.

Ich möchte aus der #Wirklichkeit im Rettungsdienstalltag erzählen.

Alltag. Den gibt es im Rettungsdienst. Und eigentlich gibt es ihn nicht. Wenn ich zur Arbeit komme, gibt es einen groben Plan. Umziehen, Übergabe der Fahrzeuge, checken von Fahrzeugen und Material auf Vollständigkeit und Funktion. Danach diverse Aufgaben, um so einen Wachbetrieb am laufen zu halten.
An guten Tagen reicht es für einen Kaffee beim Fahrzeugcheck und Gesprächen zwischen Rettungsdienstlern, die manchmal geprägt sind durch unseren schwarzen Humor und sich manchmal doch nur um Dies und Das und Jenes drehen.
An schlechten Tagen schafft man vorm ersten Einsatz nicht mal die vorgesehene Checkliste vollständig zu abzuarbeiten. Die schlechten Tage werden mehr.

Die Anforderungen steigen; an Mensch und Material.

Mein Arbeitgeber legt Wert darauf, hochwertiges Material zur Verfügung zu stellen und Medikamente zu beschaffen, die den aktuellen Leitlinien und Empfehlungen entsprechen. Neuerungen werden so zeitnah umgesetzt, wie es für ein großes Unternehmen nun mal möglich ist. Ich freue mich, denn das ist wichtig. Wir haben da draußen ja nichts. „Kannst du mal eben schnell ein anderes Beatmungsgerät holen..?“ Obsolet.
Vollautomatische Tragensysteme sollen unsere Rücken entlasten.
Fahrassistenzsysteme der Fahrzeuge sollen uns trotz Blaulicht, und dem vielfach höherem Risiko dabei selber zu verunfallen, sicher durch den immer dichteren Verkehr leiten.
Elektronische Einsatzbearbeitung soll für bessere Arbeitsabläufe zwischen Klinik, Leitstelle und Rettungsdienst sorgen und Zeit einsparen.

Aber natürlich geht es nicht nur um uns, die Mitarbeiter. Es geht auch um „die da draußen“. Die anderen Rettungsdienste in nah und fern, um im Wettkampf der Ausrüstung und Aufrüstung immer die Nase vorne zu haben. Die zukünftigen Mitarbeiter, die abgeworben und beeindruckt werden wollen. Die Kunden, manche nennen Sie auch Patienten, die eine erstklassige Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen. Vierundzwanzig Stunden. Sieben Tage die Woche. Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Viele von ihnen haben sogar das Glück, sich unser Hightech-Beatmungsgerät auf der Trage sitzend erklären lassen zu können. „Wie toll Sie ausgestattet sind.“

„Schließlich geht es bei Ihnen ja immer ums Überleben!“

An manchen Tagen ist der #Wunsch nach einem Einsatz so groß, wie die Anzahl der Noppen der Raufasertapete an der Wand.
Nein. Wir wünschen niemandem etwas Schlechtes.
Ja. Langeweile und Unterforderung können schwieriger zu ertragen sein, als so manche Wohnung, die wir von innen sehen und aus der wir nur zu gerne flüchten wollen.

An anderen Tagen ist der #Wunsch nach wenigstens drei Bissen warmen Essens, dem ungestörten Toilettengang oder einfach fünf Minuten Ruhe und Nichts tun übermächtig. Denn dann ermahnt uns der Melder ständig, alles sein zu lassen. Essen und Trinken sein zu lassen. Büroarbeit, Materialverräumung und Putztätigkeiten sein zu lassen. Unsere aktuellen Gedanken an Familie und Freunde sein zu lassen.
Denn schließlich könnte es jetzt gerade ums Überleben gehen!
Die #Wirklichkeit? Liegt wohl irgendwo dazwischen.

Die Anforderungen steigen; an Material und Mensch.

Die durchschnittliche Verweildauer von Mitarbeitern im Tätigkeitsfeld Rettungsdienst liegt bei gerade mal etwas über 10 Jahren. Einige bleiben im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres oder dem Versuch des Ausprobieren bei einer Tätigkeit im Rettungsdienst hängen. Für viele ist der Rettungsdienst aber eine Zwischenstation auf dem Weg ins Medizinstudium oder der Erkenntnis, dass es eben nicht immer ums Überleben der anderen geht, sondern manchmal um sein eigenes.

Kaum jemand erreicht das vorgesehene Renteneintrittsalter. Kollegen, die ohne verminderte Erwerbsfähigkeit in Rente gehen, werden voller Bewunderung bestaunt und beglückwünscht. „Wie hast du das nur geschafft?“

Sie haben überlebt!

Wer mit dem Alter überlebte, muss sich nun in der immer schneller werden Welt der Medizin zurecht finden.
Aus „Das haben wir schon immer so gemacht.“ wurde „Die Studien werden in der Leitlinie folgendermaßen berücksichtigt und umgesetzt.“
Aus „Ihr seid nur die Fahrer, ich bin der Arzt und habe das sagen.“ wurde „Ist jeder im Team mit der besprochenen Vorgehensweise einverstanden oder hat jemand Einwände?“
Aus „Venöse Zugänge sind eine ärztliche Maßnahme.“ wurde „Auch ohne ärztliche Anwesenheit müsst ihr folgende invasive Maßnahmen und Medikamentengaben durchführen.“
Die Arbeiten im Rettungsdienst hat einen Grad an Eigenverantwortlichkeit, Komplexität und Belastung erreicht, der vor einigen Jahren noch undenkbar war.

Die #Wirklichkeit ist, dass sich die Arbeitsbedingungen im Vergleich zu früher verbessert haben, allerdings ist keine direkte proportionale Korrelation zwischen den steigenden Anforderungen an uns als Rettungsdienstpersonal und den Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu erkennen. Der #Wunsch ist, dass endlich die Themen angegangen werden, die bisher viel zu lange unberücksichtigt blieben: Arbeitsbelastung, Arbeits- und Schichtzeiten, Fort- und Weiterbildung, Familienfreundlichkeit und das Missverhältnis von Über- und Unterforderung durch hohe Qualifikation in Gegenüberstellung zu Bagatelleinsätze sowie abnehmende Wertschätzung von allen Seiten.

Deswegen engagiere ich mich im #Twankenhaus.

Denn unser Überleben sichert das Überleben der Patienten.

 

Unser herzlicher Dank für diesen Beitrag geht an unser Teammitglied @rosarote_viggo.